Vorsichtig betretet ihr den Gang, aus dem der Metallgolem gekommen ist. Die seltsame Stille umwabert euch wieder wie Nebel an einem kalten Morgen und eure eigenen Schritte sind das einzige, was sie bricht. Ihr habt die Spur der Blutflecken aus dem Erdgeschoss verloren – so plötzlich, wie sie erschienen waren, waren sie auch wieder verschwunden. Das Mittel, das euch Valken gegeben hat, und auch eure eigene Anspannung unterdrücken die letzten Reste des Alkohols in eurem Blut, und während eure Blicke wachsam die Wände entlang gleiten, seid ihr über alle Maßen froh darüber. Ihr habt keine Angst vor Goblins, Orks oder Trollen. Ihr habt bisher gegen Barbaren und auch gegen böse Magier gekämpft, all das hat euch nicht geschreckt. Doch hier ist etwas, das ihr nicht sehen und nicht greifen könnt – und ein wenig unwohl ist euch schon bei der Frage, wie ihr dies bekämpfen sollt, falls es sich dazu entscheidet, euch anzugreifen.
Der Gang öffnet sich schließlich in einen größeren Raum, der jedoch nicht mehr von Fackeln erleuchtet wird. Sorgsam seht ihr euch um, als ihr Schritte hinter euch vernehmt und Valken und Alyssa zu euch treten. Die junge Frau blickt euch ernst und fest an, auch wenn sich einige getrocknete Tränen auf ihren Wangen abzeichnen. Kurz darauf könnt ihr auch den Grund feststellen, als sie eine Fackel nimmt, in den Raum tritt und den Blick auf mehrere furchtbar entstellte Leichen freigibt. Für einen Moment verschlägt es euch die Sprache; Alyssa wendet sich rasch wieder ab, die Hand vor die Augen legend, worauf Valken zu ihr tritt und sie behutsam in den Arm nimmt, nur um knapp in Richtung der Toten zu weisen.
„Das sind Alyssas Assistenten. Sie waren mit der Sichtung der Fundstücke und auch ihrer Säuberung und Katalogisierung betraut.“
Mit einer Mischung aus Mitleid und Hilflosigkeit blickt ihr zu der jungen Frau – ihr könnt bestenfalls erahnen, was gerade in ihr vorgehen muss. Was die Leichname angeht, ist euch bereits nach einem etwas genaueren Blick klar, was diesen Menschen zugestoßen ist und ein Schauer läuft über eure Rücken als ihr euch unweigerlich vorstellen müsst, wie die Klauen des Golems hier ihr blutiges Werk verrichtet haben. Angewidert schüttelt ihr euch und beginnt dann so behutsam wie möglich die sterblichen Überreste an die Wand zu legen. Alyssa erscheint schließlich mit mehreren Abdeckplanen und breitet sie über ihren toten Assistenten aus, ohne sie jedoch ansehen zu können.
„Sie wären heute Nacht gar nicht hier gewesen … Sie hätten frei gehabt, doch weil wir erst vor zwei Tagen diese wichtige Lieferung bekommen haben, habe ich sie gebeten, eine zusätzliche Nacht einzulegen … Ich habe ihnen noch gesagt, sie bräuchten nachts keine Angst zu haben, sie … würden … doch beschützt ... Sie … sie … Entschuldigt mich bitte.“
Schluchzend tritt sie zur Seite, während Valken Fackeln an euch verteilt und zu der offenen Tür an der anderen Seite des Raumes zeigt.
„Dort drüben ist unser Hauptlager. Seht Euch ein wenig um, aber seid vorsichtig. Ich bleibe erstmal an der Tür und passe auf, dass Alyssa nichts … passiert. Wir sollten ihr aber ein paar Augenblicke für sich allein lassen.“
Ihr folgt seinem Vorschlag und betretet aufmerksam den euch zugewiesenen Raum. Bereits in dem schummrigen Licht eurer Fackeln könnt ihr einen gewaltigen Raum sehen, voller Regale, Tische und Kästen, manche leer, manche ein wenig befüllt, manche überquellend von Fundstücken. Wenn dies wirklich alles Relikte der Valak sind, dann muss man kein Gelehrter sein, um anzuerkennen, dass dies eine gewaltige Leistung für ein Volk ist, das nie existiert hat.
Eure Augen gleiten gespannt über all die seltsamen Fundstücke und bleiben schließlich an einem bestimmten Stück hängen: Es ist immer noch voller Dreck, und außer seiner ovalen Form ist nicht viel zu erkennen, aber die seltsame Aussparung im oberen Drittel kommt euch bekannt vor. Ihr lasst kurz eure Finger darüber gleiten und seit euch dann sicher, dass der Stein, den ihr damals in den Bergen nördlich von Dresoria gefunden habt, genau dort hineinpassen würde. Kurzentschlossen nehmt ihr die Scheibe mit und beschließt, Alyssa später dazu zu befragen.
Mit einem Mal wird der Raum von gleißendem Licht erfüllt und ihr hebt schützend die Hände vor die Augen, bevor ihr zurück zur Tür blickt. Alyssa hat die Hand an einem seltsamen Zylinder, ihre Augen wieder klar, wenn auch kühl und ohne Spuren des beschwingten Wesens, welches ihr noch vor ein paar Stunden in ihr gesehen habt.
„Verzeiht, das ist ein weiteres … Geschenk von Valkens Onkel. Wir haben mehrere starke Öllampen mit einem Spiegelsystem versehen, wodurch wir viel und vor allem schnell Licht in den Raum bringen können. Ich habe nicht daran gedacht, dass Ihr dies nicht kennt – ich hätte Euch warnen sollen.“
Kurz reibt ihr eure Augen und seht euch dann weiter um. In diesem Licht ist die Auswahl der Fundsachen noch beeindruckender und gewaltiger als zuvor, doch macht ihr euch rasch daran, den Raum nach möglichen Gefahrenquellen zu durchsuchen. Ihr wandert durch die Reihen der Tische, öffnet jeden Schrank, jede Truhe, blickt hinter jedes Regal, doch nach beinahe einer Stunde müsst ihr feststellen, dass es hier außer den Relikten einer vergangenen Zeit nichts zu sehen gibt. Valken und Alyssa schließen sich euren ratlosen Blicken an; grübelnd steht ihr in der Mitte des Raumes, bis der junge Mann schließlich das Wort an euch richtet.
„So kommen wir nicht weiter. Hört zu, ich weiß, dass das nun absurd klingt, aber was immer auch der Grund für die … Fehlfunktion war, es war kein gewöhnlicher. Irgendjemand … oder … irgendetwas muss an dem Golem etwas verändert haben, und ich glaube, dieses Etwas ist noch immer hier. Wir können es nicht so einfach rumlaufen lassen, deshalb muss jemand dort rausgehen und es suchen. Bevor Ihr mich jetzt für verrückt erklärt, bedenkt Folgendes: Ihr habt das Konstrukt vernichtet, und das war keine Kleinigkeit. Ich halte Euch für fähig genug, was auch immer da draußen ist, zu finden, und wenn Ihr es nicht fangen könnt, zurückzukommen, damit wir einen Plan schmieden können. Für den Fall, dass Ihr einen Anreiz braucht: Mein Onkel wird sich sicher erkenntlich zeigen, wenn Ihr helft, die Schuldigen zu finden, die seine Leute getötet haben.“
Auch wenn das Gold natürlich sehr willkommen ist, habt ihr ohnehin selbst beschlossen, euch die umliegenden Gänge genauer anzusehen. Wer auch immer hier Menschen umbringt, wird nicht einfach damit weitermachen, solange ihr etwas dagegen unternehmen könnt. Abgesehen davon hat Valken recht: Ihr habt es mit dem Konstrukt aufgenommen; sofern ihr euch nicht aufteilt und immer zusammenbleibt, solltet ihr sicher wieder zurückkommen. Ihr teilt euren Entschluss den beiden mit, die zuerst sich und dann euch einen erleichterten Blick zuwerfen.
„Vielen Dank“, wendet sich Alyssa nun an euch, „wir werden hier erst einmal warten und noch einmal alles durchsuchen, vielleicht haben wir ja etwas übersehen. Kommt wieder hierher, sobald ihr etwas gefunden habt.“
Kurz durchatmend, verabschiedet ihr euch, schnappt euch noch ein paar Fackeln und betretet wieder den Hauptgang vor dem Depotraum. Bereits nach wenigen Schritten seid ihr ein weiteres Mal von der Dunkelheit eingehüllt und nur der Schein der Fackeln schafft euch ein eingeengtes Gefühl der Sicherheit. Der Weg führt euch weiter den Gang entlang; immer mehr erscheint es euch, als wärt ihr in einem Labyrinth, die Wände und der Boden hier noch ähnlicher einem Kerker als der großen Universität Rabenfurth. Ihr kommt an leeren Archiven vorbei, Bibliotheksräume mit umgestürzten Regalen wechseln sich mit trostlosen Arbeitszimmern ab, die wohl schon seit Jahren niemand mehr benutzt hat. Je länger ihr durch die Dunkelheit wandert, desto mehr scheint es, als wärt ihr hier selbst im Zentrum einer alten Zivilisation, im Herz eines Volkes, vor langer Zeit jedoch alt und krank geworden und in Einsamkeit gestorben.
Schließlich stoßt ihr auf Spinnweben und Staub, und es ist klar, dass hier schon sehr lange niemand mehr gewesen ist. So lange seid ihr nun schon durch die Finsternis marschiert und habt nichts gefunden, wohl auch, weil es hier einfach nichts zu finden gibt. Letztendlich beschließt ihr, umzukehren. Hier sind nur alte Bücher, verrottende Regale, Skelette alter Tiere und, und, und das plötzliche Gefühl, dass euch die ganze Zeit über jemand belauscht, euch verfolgt, euch verspottet und leise wieder zu euch spricht …
Was bei allen Göttern ist das? Das kann doch nicht sein – habt ihr nun völlig den Verstand verloren?
Ihr hetzt die Gänge entlang, zurück zur Sicherheit des Lichts, zu dem Raum, wo Valken und Alyssa auf euch warten … oder nicht? Was ist, wenn das, was hier ist, was hinter euch her ist, sie schon erwischt hat? Ihr habt keine Zeit zu verlieren, ihr habt keine Zeit!