Ihr lasst die zerpflückten Überreste der Raubkatze hinter euch und setzt euren Weg in die Dunkelheit fort. Die Gänge erscheinen euch weiterhin gleich, die Türen, an denen ihr vorbeikommt, haben immer das gleiche Aussehen, und ihr versucht euch bereits auf eine weitere Reise im Kreis herum vorzubereiten, als ihr einen fahlen Lichtschein vor euch seht. Einen Moment lang zögert ihr, unsicher, ob es sich hier nicht wieder um eine Täuschung eures Geistes handelt, doch beschließt ihr letztendlich, dass ihr dieses Risiko mittlerweile eingehen müsst, und so stürmt ihr los. Der Lichtschein wird stärker und stärker, und eure Herzen werden leichter, als ihr wieder den vertrauten Eingang zum Hauptdepot vor euch seht. Einen Moment lang gönnt ihr euch dieses überschwängliche Gefühl der Erleichterung, dann tretet ihr schließlich ein.
Im Inneren des Raumes fallen euch sofort einige Veränderungen auf; vor allem wären da die umgestürzten Tische, die nun eine Art Barrikade zur Eingangstür bilden. Alyssa und Valken stehen in der Mitte des Depots über eine Reihe von Fundstücken gebeugt, neben ihnen mehrere geöffnete Bücher und einzelne Pergamentrollen. Als ihr euch ihnen nähert, fällt euch außerdem auf, dass sich der junge Mann in der Zwischenzeit bewaffnet hat, zumindest machen die seltsam anmutende Pistole und das nicht weniger ungewöhnlich aussehende Schwert an seinem Gurt diesen Eindruck.
„Ihr seid zurück. Und wie ich sehe, ist Euch nichts geschehen“, wendet sich Alyssa an euch, als sie euch bemerkt. Erleichterung ist beiden ins Gesicht geschrieben, und sogleich beginnt ihr mit euren Erzählungen von den Vorkommnisse in den Gängen.
„Xaveria, sagt Ihr?“
Nachdenklich wechseln Alyssa und Valken einen Blick, bevor die Halbelfe mehrere ihrer Aufzeichnungen zur Hand nimmt und sie durchsucht, während nun der junge Mann das Wort an euch richtet.
„Mir sagt dieser Name nichts, aber wir haben dafür etwas anderes gefunden.“
Knapp nickt er in den hinteren Bereich des Depots, wo die beiden einige mit Heu ausgestopfte Kisten zusammengeschoben haben.
„Das sind die Fundsachen von vor zwei Tagen. Alyssa und ihre Assistenten hatten kaum Zeit, sie ordentlich zu begutachten, sondern haben sie nur mit laufenden Nummern versehen und dann hierher verräumt. Als wir diese Kisten nun genauer durchsucht haben, ist uns etwas … aufgefallen.“
Er holt eine kleine Vase aus dem Heu hervor und hält sie euch behutsam entgegen. Auf den ersten Blick scheint sie nichts Besonderes an sich zu haben, bis euch dann bei genauerer Betrachtung ein filigranes Netz von Linien und Zeichen auffällt, welches sich über die gesamte Oberfläche des Fundstückes zieht – bis auf die Stelle, an der das Gefäß einen Spalt aufweist.
„Wir sind uns nicht sicher“, fährt Valken dann fort, „doch diese… Zeichen hier… nun, wir müssen davon ausgehen, dass es sich um eine Art… Bannschrift handelt. Tatsächlich sind einige der Symbole den heutigen Runen bei Bannkreisen für… nun… Dämonen oder höhere Geister nicht unähnlich. Wer immer das auf diese Vase gezeichnet hat, wollte, dass der Inhalt niemals wieder herauskommen kann.“
Langsam dreht er euch dann das Tongefäß noch einmal mit dem Spalt nach oben hin zu, wobei ein leises Seufzen seinen Lippen entfleucht.
„Dummerweise … funktionieren Bannkreise nur, solange sie intakt sind. Dieser Spalt hier hat den Zauber zerstört. Natürlich hätte dies zu jedem Zeitpunkt in der Vergangenheit geschehen können, wenn wir nicht ein paar kleine, passende Scherben im Inneren der Kiste gefunden hätten, woraus wir schließen müssen, dass dies entweder beim Transport oder bei der Lagerung hier geschehen ist.“
Ein uralter Geist, gefangen in einer Urne, der nun plötzlich entkommt und sein Unwesen in den Kellergewölben einer Universität treibt? Normalerweise würdet ihr in so einem Fall nur laut lachen, doch haben euch die letzten Stunden euren Humor geraubt. Für euch steht außer Zweifel, dass es hier einen Zusammenhang gibt, doch beantwortet dies nicht die Frage, wie ihr dieses Ding wieder loswerdet. Während ihr in hitzige Diskussionen ausbrecht, was denn nun am besten zu tun wäre, tritt Alyssa wieder zu euch, immer noch einige ihrer Aufzeichnungen in den Händen haltend.
„Nun … viel habe ich nicht gefunden – und wenn ich ehrlich bin, hätte ich nicht erwartet, auch nur irgendetwas zu finden. Tatsächlich jedoch dürfte diese Xaveria eine wichtige Persönlichkeit gewesen sein, da sie sogar an zwei Stellen hier erwähnt wird. Offenbar war sie eine außerordentlich begabte Magierin, die bei einem Ritual zur … Bannung eines … großen Übels ihr Leben gelassen hat.“
Unweigerlich spürt ihr bei diesen Worten einen Kloß im Hals, denn die Aussicht auf einen Kampf mit dem Geist einer uralten, rachsüchtigen Magierin oder vielleicht der Wesenheit, welche sie zu bannen versucht hat, ist alles andere als erfreulich.
„Wer oder was das nun auch immer ist“, ergreift Valken wieder das Wort, „wir müssen nun zusehen, wie wir damit fertig werden. Alyssa und ich sind ein paar der alten Lagerlisten durchgegangen: Wie es scheint, gibt es in einem der Seitengänge hier noch eine geschlossene Abteilung, in der wir ein passendes Buch zur Bannung dieses Dings finden können. Das Dumme ist nur … wie der Name der Abteilung schon sagt, ist sie … geschlossen, oder eher verschlossen. Das bedeutet, dass wir einen Schlüssel holen müssen, bevor …“
Ein krachendes Geräusch aus der Richtung der Wand neben euch lässt ihn verstummen; nur einen Augenblick später füllen Staub und die Reste von Putz die Luft um euch. Durch den wirbelnden Dunst könnt ihr nur ein Loch in der ohnehin schon bröckeligen Mauer ausmachen, bevor das Krachen ein weiteres Mal ertönt und sich der Riss vergrößert. Ihr könnt nicht klar erkennen, was nun genau dahinter ist, irgendetwas möchte sich jedoch offensichtlich seinen Weg zu euch bahnen – und es hat nicht vor, die Tür zu nehmen.
„Lauft! Raus hier!“
Ihr wendet euch der Stimme zu und seht gerade noch, wie Valken zu der ungewöhnlichen Pistole an seiner Hüfte greift, sie auf das Ding hinter der Wand richtet und in kurzer Folge drei schnelle Schüsse abgibt. Einen Moment liegt eine trügerische Stille in der Luft, bevor die Salve mit einem drohenden Knurren beantwortet wird. Valken flucht leise und verlässt dann schnellen Schrittes mit Alyssa den Raum, ihr ihnen dabei dicht auf den Fersen.
„Nun, das hat es wohl nur noch wütender gemacht“, wendet sich Valken am Gang an euch, während er sich hektisch umsieht und dann in eine Richtung deutet.
„Wir haben wohl keine Wahl, Ihr geht jetzt dort entlang, das sollte Euch zu der Abteilung führen. Nehmt Alyssa mit, sie kann Euch im Zweifelsfall den Weg zeigen. Ich laufe in diese Richtung und besorge uns den Schlüssel, wir treffen uns dann bei der Eingangstür, in Ordnung?“
„Nichts ist in Ordnung, willst du nun den Helden spielen?“, funkelt ihn Alyssa wütend an, während ihr euch ein wenig gehetzt umseht, als ein weiteres Krachen hinter euch verrät, dass die Wand nicht mehr lange standhalten wird. Valken hingegen setzt sein mittlerweile bekanntes Lächeln auf und zwinkert der Halbelfe zu.
„Ich bin gerührt, du machst dir also wirklich solche Sorgen um mich?“
Bevor Alyssa noch etwas erwidern kann, hört ihr das Bröckeln von zerstörtem Mauerwerk und ein fast schon freudiges Knurren aus dem Raum hinter euch. Kurzerhand beschließt ihr, dass dies nicht der richtige Zeitpunkt für Sticheleien ist, und so nickt ihr Valken noch einmal bekräftigend zu, packt eine schimpfende Alyssa und zieht sie einfach mit euch, fest entschlossen, keine Sekunde mehr zu verlieren, während irgendetwas Großes hinter euch die Verfolgung aufnimmt.
Ihr hastet um eine Ecke, die Waffen immer noch gezogen, während einige von euch ein wenig zurückbleiben, um euren Rücken zu decken, andere wiederum nach vorne absichern. So wie es aussieht, habt ihr das Ding fürs Erste abgehängt; schwer atmend gönnt ihr euch eine Pause. Im Licht eurer Fackeln könnt ihr dann eine schwere Eisentür in eurer Nähe ausmachen, auf der in mehreren Sprachen Warnschilder angebracht sind. In jedem Fall sticht jedoch ein gewaltiges Sicherheitsschloss hervor, welches knapp unter dem Türgriff angebracht ist.
„Hey, sehr gut, Ihr habt es geschafft!“
Im letzten Moment könnt ihr eure Waffen zurückziehen und so verhindern, den jungen Mann niederzustrecken, der soeben aus den Schatten aufgetaucht ist. Beschwichtigend hebt Valken die Hände und schenkt euch ein aufmunterndes, wenn auch leicht nervöses Lächeln.
„Ganz ruhig, ganz ruhig, alles in Ordnung. Hier, ich habe, was wir brauchen.“
Rasch zieht er einen funkelnden Schlüssel aus seinem Mantel und öffnet mit ein paar Handgriffen die Tür, euch hineinwinkend. Ihr lasst euch nicht zweimal bitten und werft nur einen kurzen Blick zurück.