Das Getöse aus dem Ballsaal ist bald kaum noch wahrzunehmen, als ihr Alyssa durch einige versteckte Seitengänge in den hinteren Bereich des Anwesens und schließlich in das Obergeschoss begleitet. Dieser Teil der Villa wirkt wie ausgestorben, und ihr genießt die Momente der Stille, als die junge Halbelfe dann vor einer großen Doppeltür stehen bleibt. Mehrmals klopft sie in einer genauen Abfolge auf das Holz, worauf einige Augenblicke später ein Bediensteter öffnet, sich vor euch verbeugt und wortlos in den Gang hinaustritt. Ein wenig verwirrt seht ihr zu Alyssa, die euch jedoch nur lächelnd bedeutet, den Raum zu betreten. Als ihr ihrer Aufforderung schließlich nachkommt, findet ihr euch in einem großen Studierzimmer wieder. Mehrere Bücherregale stehen an den Wänden, der Boden ist mit kostbaren Teppichen bedeckt und in einem gewaltigen Kamin prasselt knisternd ein Feuer vor sich hin. Mehrere gemütlich wirkende Ohrensessel sind davor aufgestellt. Aus einem erhebt sich sodann sichtlich mühevoll eine Gestalt, die ihr aufgrund des eher spärlichen Kerzenlichts und des Widerscheins der Feuerstelle auf den ersten Blick nicht erkennen könnt. Die linke Hand nach einem Gehstock ausstreckend, hält sie einen Moment inne, bevor ein leises Lachen vor euch zu hören ist und sie sich schließlich auf euch zubewegt.
„Soso, muss also ich wieder einmal die ganze Arbeit machen, mh?“
Einen Moment stutzt ihr bei dem Klang dieser vertrauten Stimme, und noch bevor Alyssa an euch vorbeigegangen ist und dem Mann sanft eine Hand auf die Schulter legt, wisst ihr, wen ihr da vor euch habt. Als er aber schließlich einen weiteren Schritt auf euch zumacht und endlich klar zu erkennen ist, stutzt ihr unwillkürlich und ein weiteres Lachen ist zu hören, bevor Valken schmunzelnd den Kopf schüttelt.
„Jetzt stellt euch nicht so an, ihr habt sicher schon Schlimmeres gesehen, nicht wahr?“
In der Tat hat Valken recht, ihr habt schon weit Schlimmeres gesehen. Ein gutes Beispiel wäre er selbst gewesen, als ihr ihn aus der Ritualkammer in den dunklen Landen ans Tageslicht gebracht habt. Zu diesem Zeitpunkt haben manche von euch immer noch daran gezweifelt, dass der junge Mann die Reise zurück ins Kaiserreich überleben würde, doch hat er sich als überaus zäh erwiesen. Nun, mehrere Monate später, scheinen zumindest die gröbsten Wunden verheilt zu sein, doch hat der Angriff auf die Gestalt in der Robe offenkundig seinen Tribut gefordert. Valkens linkes Bein ist sichtlich versteift und die behandschuhten Finger seiner linken Hand sind auch nicht mehr in der Lage, den Griff seines Gehstocks vollständig zu umfassen. Wenn auch sonst keine äußerlichen Narben zu sehen sind, so trägt er doch in einer eindeutigen Geste seine langen braunen Haare über seine linke Gesichtshälfte gekämmt, und so ist es nur noch ein Auge, welches euch im altbekannten Glanz anfunkelt, ehe er theatralisch seufzt und sich Alyssa zuwendet.
„Haben sie wenigstens so viel Höflichkeit bewiesen, dir zu gratulieren?“, spricht er sie gespielt enttäuscht an, worauf ihr wie aus einer Starre erwacht und grinsend einer nach dem anderen dem jungen Mann die Hand reicht und ihm aufmunternd auf die Schulter klopft. Anschließend macht ihr es euch alle gemeinsam auf den unterschiedlichen Sitzmöglichkeiten bequem, Valken geht langsam wieder zu seinem Sessel zurück, und ihr kommt nicht umhin zu bemerken, wie er höflich, aber bestimmt Alyssas versuchte Hilfestellungen zurückweist und sich dann mit einem entspannten Seufzen setzt, während seine Verlobte neben ihm Platz nimmt.
„Tja, DARAUF hätten wir damals in Rabenfurth wetten sollen, als wir uns zuerst getroffen haben. Wisst ihr noch? Allerdings weiß ich nicht, ob ich zu diesem Zeitpunkt ihre Hand für einige magische Blitzentladungen eingetauscht hätte.“
Auch wenn das wohl ein Scherz sein sollte, ist er mehr als misslungen, wie ein kurzer schmerzerfüllter Blick der Halbelfe zeigt, und auch Valken scheint über seine eigenen Worte nicht sonderlich erfreut zu sein. Einige Momente herrscht erneut dieses peinliche Schweigen, bevor Alyssa die Hand des Mannes neben sich ergreift und zuerst zu ihm und dann zu euch sieht.
„Was mein Verlobter auf seine … charmante Art wohl zu sagen versucht, ist, dass man manchmal den einen oder anderen Anstoß braucht, um zu sehen, was einem wirklich wichtig ist.“
Ihre sanfte Stimme und das ehrliche Lächeln lassen zu eurer Erleichterung die Anspannung noch im selben Moment in Luft aufgehen, und nur Augenblicke später ist der Raum erfüllt von den unterschiedlichsten Fragen, Anekdoten und auch Gelächter, als ihr nun alle wie auf ein geheimes Zeichen hin zu reden beginnt.
Die Stunden vergehen wie im Flug, und es ist bereits kurz vor Mitternacht, als Alyssa wieder einmal aufsteht, aus einem Nebenraum ein kleines Kästchen holt und es vor euch abstellt. Fragend seht ihr sie an, woraufhin sie den Deckel hebt und ein kleines, säuberlich geputztes Amulett zum Vorschein kommt.
„Das wollte ich euch noch unbedingt zeigen. Wir haben dies aus einer der anderen Fundstellen bekommen und es ist so wunderschön und gut erhalten, dass man meinen könnte, ein mächtiger magischer Spruch läge darauf.“
Sorgsam nimmt sie das Schmuckstück heraus und fährt sachte mit dem Finger über uralte Runen, die an den Seitenrändern eingraviert sind.
„Einzigartig, nicht wahr? Als ich es das erste Mal in Händen hielt, konnte ich gar nicht glauben, dass es sich hier nicht um eine Fälschung handelt. Es wirkt … vollkommen … zeitlos. Ich habe es auch sofort auf Spuren arkaner Energie untersuchen lassen, doch war nichts zu finden. Aber ich wollte es ja eigentlich euch einmal genauer ansehen lassen. Hier, nehmt ruhig.“
Immer noch lächelnd hält sie euch das Fundstück entgegen, und der ihr am nächsten Sitzende streckt eine Hand aus, um es zu ergreifen.
Schwarz.
Die Welt um euch versinkt im Nichts und zurück bleibt nur Schwärze.
Stille.
Stimmen, Geräusche, alles wird aufgesogen von der Schwärze.
Zeit.
Vergeht die Zeit? Ein Wimpernschlag scheint Jahrtausende zu dauern, euer Herzschlag vergeht in der Endlosigkeit des Nichts.
Und dann … Licht.
Ein kleines … Licht.
Golden. In der Dunkelheit. Im Nichts.
Ihr wendet eure Augen dem Licht zu – und mit einem Mal ist da kein kleines Licht mehr und auch das Nichts scheint verschwunden, verdrängt durch das Gefühl immerwährender Ewigkeit, als euer Blickfeld von einer gewaltigen, goldenen Waage ausgefüllt wird, ihre Schalen perfekt im Gleichgewicht … bis sich eine davon kaum merklich bewegt.
„Heda! Ihr!“
Fassungslos blinzelnd seht ihr euch um und es dauert einen Moment, bis ihr den Steinboden unter euren Füßen wahrnehmt, die Sonnenstrahlen auf euren Gesichtern, das Zwitschern der Vögel in euren Ohren, den Wind in eurem Haar – und die schwarz gerüsteten Kämpfer vor euch, die euch für einen Moment abwartend ansehen, bevor einer von ihnen sein Schwert hebt.
„Männer, zum Angriff!“
Verwirrt seht ihr zuerst euch und dann die Krieger vor euch an, die dem Befehl jedoch augenblicklich nachkommen und auf euch zustürmen. Aus unzähligen Kämpfen geschulte Reflexe lassen eure Finger zu Waffen gleiten, die ihr eigentlich gar nicht bei euch tragen solltet, und in letzter Sekunde macht ihr euch kampfbereit, bevor die Schwarzgewandeten euch erreichen.