Einen Monat seid ihr nun hier. Einen Monat habt ihr euch von sandigem Gemüse, breiigem, weißem Fleisch und verwässertem Bier ernährt. Einen Monat lang habt ihr zugesehen, wie aus der kleinen Ansammlung weißer Zelte eine riesige Morastlandschaft geworden ist, denn ewiger Regen prasselt auf die Zeltdächer, ruiniert Proviant, Bücher und Bögen und senkt Stimmung und Temperatur spürbar unangenehm.
Dazu machen die Schatten der riesigen Bäume euch zu Vampiren - unwillig knurrt ihr die vereinzelten, wie von grellen Scharfschützen abgeschossene Pfeile aus Licht an, die hier und da die Blätterrüstung aus Schwärze durchstoßen.
Überhaupt scheint der Wald euch zu hassen: Er verschluckt alles wie die nimmersatte Verdammnis: Licht, Hoffnung und Menschen; nur den verdammten Regen lässt er durch.
Und so zieht ihr euch auf der morgendlichen Runde schon reflexhaft die Kapuzen über den Kopf und betrachtet wieder einmal die Ansammlung von Soldaten, Söldnern, Glücksrittern und Vagabunden, die in ihren Zelten Karten spielen oder fluchend nutzlose Wassergräben in den nachrutschenden Schlamm zu treiben versuchen. Allesamt ein ziemliches faules Gesocks, aber so gesehen müsst ihr euch auch dazuzählen.
Aber was soll man auch machen? Bis jetzt habt ihr nicht einmal erfahren, was im Norden los ist; die Gerüchte reichen von schwarzen Dämonen über eine magische Resonanzkaskade bis hin zu uralten Wesenheiten. Eure eigenen Erinnerungen, von der Zeit gefärbt, liefern da anscheinend noch das akkurateste Bild.
Eine der unzähligen seltsamen Gestalten die sich hier herumtreiben, ein kerzengerader, glatter und irgendwie sauberer Mann in einer tiefblauen Kapuzenrobe, rempelt euch an. Ihr erhascht einen Blick in gelbe, fast goldene Augen: "Ent-schul-digt!“, sagt er abgehackt, wie ein halbblinder Vorleser und verschwindet hinter einer Plane in der grauen Wand des Regens.
Und so kommt ihr nach einer weiteren, ergebnislosen Runde durch das Lager triefend in euer Zelt, fast soweit aufzubrechen gen Süden, in die Grassteppen und die großen Städte, wo nicht jeder Weg im Kreis führt und jeder Atemzug näher zum Tod und wo es vor allem trocken ist - da weht euch der Geruch von Kamillentee entgegen.
Tanara, die gute alte Tanara, äfft eure erstaunten Gesichter nach und weist euch lächelnd Plätze in eurem eigenem Zelt zu. Der Gnom an ihrer Seite trocknet in sich versunken seine Armbrust ab und nickt nur kurz.
"Überrascht mich zu sehen?“ Tanara schüttet für alle Tee in kleine Kupferbecher und drückt sie euch in die klammen Finger. "Ich bin nur wegen euch hier.“ Ein strafender Seitenblick des Gnoms lässt sie hinzufügen: "Und wegen der Expedition.“
"Weißt du Genaueres?“
"Nun, die Expedition wird in einigen Wochen aufbrechen, aber mit euch hat man besondere Pläne.“
Der Gnom gibt die stillen Seitenblicke auf:
"Ich bin übrigens Pedrock!“
Tanara tätschelt ihm entschuldigend den Arm und fährt fort:
"Ich weiß nur soviel: Im Wald gibt es inzwischen noch andere Probleme als Schatten. Die Echsenstämme hier haben uns den Krieg erklärt! Immer wieder greifen sie Patrouillen und Kundschafter an, aber das wisst ihr wahrscheinlich bereits?“ Auf euer Nicken hin fährt sie fort: "Dann sollt ihr auch wissen warum." Sie lehnt sich zurück, biegt den Rücken durch und sagt nur einen Namen:
Ihr wisst nicht recht, ob ihr lachen oder weinen sollt. Von dem tollpatschigen Geheimagenten redet das ganze Lager. Ihr konntet den Gerüchten nicht recht Glauben schenken: Dnob als großer Kriegsheld; Dnob mit seinen Leuten weit hinter den feindlichen Linien. Ihr habt ja selbst damals mitbekommen, in der Manufaktur der Donnerbüchsen, wie gut der Graf seinen Ruf zu wahren - oder weniger höflich: aufzubauen - weiß. Hier im Lager ist er jedenfalls eine Legende; ein Kriegsheld. Vorsichtige Stimmen sagen: "Ein Mann, der weiß was zu tun ist."
"Ja, Dnob! Er hat ein Lager, den Fluss hinauf. Von dort aus versuchen sie Kontakt zu den Echsen aufzunehmen. Sie auszuspionieren. Ihr wisst schon."
"Und jetzt ist der Kontakt zu Dnob abgerissen und ..."
"Nein, keineswegs!" Ihr habt Tanara noch nie so ernst gesehen. Der Gnom betrachtet ausführlich die Silberintarsien seiner Waffe. Der Regen trommelt ein höhnisches Präludium. Stumm reicht die Kriegerin euch ein zerfasertes Pergament, bedeckt mit schwarzen, teerartigen Flecken.
Gegen Mittag hat sich der Schauer zu einem leichten Nieseln verdünnt, so als sammle der Regen Kraft. Ein Boot, komplett mit Proviant und Zelten, steht schon am Rande des Lagers bereit. Pedrock und Tanara stoßen euch vom Ufer ab und winken aufmunternd. Ihr legt euch in die Ruder und verliert die Beiden bald aus dem Blickfeld.
Die ersten Stunden bestehen nur aus ständigem Übereinanderklettern beim Ruderwechsel und trübsinnigem In-den-Wald-Starren.
Endlich, nach vielen Windungen des Flusses, seht ihr die ersten Zeichen von Leben seit dem Lager: Plumpe Barrikaden aus Ästen, Sträuchern und jungen Bäumen ragen am Ufer auf und als der erste von euch noch aufschreit, schwirren bereits Geschosse durch die klare Luft.
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