Raureif glänzt an den Fensterscheiben und als eure Blicke über die schneebedeckten Straßen Tiefenfels’ gleiten, läuft so manchem von euch trotz der Wärme im Saal ein Schauer über den Rücken. Ihr könnt euch nicht erinnern, wann es das letzte Mal dermaßen kalt zu dieser Jahreszeit war und es ist nicht verwunderlich, dass langsam Stimmen laut werden, die hinter diesem Wetterphänomen keinen natürlichen Ursprung sehen. Ihr habt im Moment jedoch besseres zu tun, als euch mit unterkühlten Gedanken die Laune zu verderben und wendet daher eure Aufmerksamkeit wieder dem Treiben vor euch zu.
Während ihr gelassen die versammelten Gäste betrachtet, der eine oder andere ein Gläschen besten Schaumweins in der Hand, fällt so manchem die fein geschriebene Einladung des Barons wieder ein. Ihr hattet noch nie etwas von einem Adeligen namens Vladuliescu gehört und wie sich herausstellte lag dies vor allem daran, dass dies hier sein erster großer Auftritt auf der Bühne des Kaiserreichs war. Die Familie des guten Manns schien ihre Wurzeln wohl im fernen Keras zu haben und wenn man den Gerüchten glauben schenken wollte, so hat der Baron erst diesen Winter sein Anwesen in Tiefenfels erworben und war die längste Zeit damit beschäftigt, diesen Ball hier vorzubereiten. Er hat dabei auch offensichtlich weder Kosten noch Mühen gescheut, denn neben erlesenen Speisen und Getränken, funkelnden Eisskulpturen und allerlei anderem Prunk und Geglitzer, haben sich auch unterschiedlichste Spielleute und Possenreißer zur Belustigung des Publikums eingefunden. Ihr müsst euch eingestehen, dass euch das Ganze mitunter sogar eher an einen elitären Jahrmarkt erinnert, doch sind die Bälle in Keras vielleicht eben von solcher Art; Da sich die Gäste offensichtlich köstlich amüsieren, soll euch das nur recht sein. Immer wieder lasst ihr eure Blicke über die versammelten Schausteller schweifen und schließlich bleibt ihr an einem kleinen Tisch in eurer unmittelbaren Nähe hängen, der euch zuvor noch gar nicht so wirklich aufgefallen ist. Ein junges, wohl eher jugendliches Fräulein sitzt dort neben einer Kristallkugel, vor ihr ein Haufen Karten ausgebreitet. Sofort scheint sie eure Blicke zu bemerken und ein herzliches Lächeln breitet sich auf ihrem Gesicht aus, bevor sie sich erhebt, ihre Karten aufnimmt und an euch herantritt.
„Seid gegrüßt, edle Reisende“, spricht sie euch mit einem angedeuteten Knicks an, „wollt ihr vielleicht wissen, was das Schicksal für euch bereit hält?“
Strahlende, eisblaue Augen funkeln euch aus einem hübschen Gesicht an, das von langen, pechschwarzen Haaren umrahmt ist. Ihre Haut wirkt leicht getönt, ins Auge sticht jedoch ihre ungewöhnliche Kleidung. Violett, blau und schwarz wechselt sich in karierten Mustern auf Bluse und Rock ab und der doch teuer wirkende Stoff steht in krassem Gegensatz zu dem ungewöhnlichen Schnitt. Blitzende Ringe aus Silber an Fingern und Ohren, sowie ein aktuell im Nacken gebundenes Tuch unterstreichen wiederum das typische Bild eines Mädchen des fahrenden Volkes und als ihr auf ihre Frage nicht sofort reagiert, beginnt sie leicht um euch herum zu tanzen, ihre Augen jedoch die ganze Zeit weiter auf euch gerichtet.
„Nicht so schüchtern, nicht so schüchtern, habt ihr Angst, dass ihr eine schlechte Nachricht bekommt? Oder fürchtet ihr, dass ihr es mit Humbug und Gaukelei zu tun habt? Keine Scheu, keine Sorge, Irina sagt stets die Wahrheit, Irina kann die Zukunft sehen, das könnt ihr ruhig glauben.“
Leise kichert sie auf, bevor sie mit einem Satz geschickt in eurer Mitte auftaucht und sich in einer fließenden Bewegung bei den beiden Nähesten einhakt.
„Nun? Was sagt ihr? Wollt ihr sicher nichts wissen? Kein Interesse an eurer Zukunft? Wie es um neue Abenteuer bestellt ist? Um euer Glück? Oder … die Liebe?“
Funkelnd blitzen ihre Augen bei den letzten Worten auf und einen Moment scheint ihr beinahe in dem strahlenden Blau zu versinken, bevor ihr euch am Riemen reißt und das junge Fräulein höflich, aber bestimmt von euch schiebt. Sichtlich gespielt enttäuscht seufzt sie auf, legt sich in einer theatralischen Geste die Hand an die Stirn und schüttelt dann mit einem herzzerreißenden Gesichtsaudruck den Kopf.
„Irina ist untröstlich, dabei hat sich Irina schon so darauf gefreut eure Zukunft vorherzusagen. Irina kann nämlich spüren, dass da so Einiges zu sehen ist.“
Noch einmal wirft sie euch traurigen Blick zu, nur um dann ansatzlos wieder das blitzende Lächeln zu zeigen, gefolgt von einer Kusshand samt feurigem Blick, nur um dann noch ein neckisches Zwinkern draufzusetzen, bevor sie schließlich mit einem geschmeidigen Satz in der Menge verschwindet. Einige Momente steht ihr nur da und seht euch unschlüssig an, beinahe schon zweifelnd, ob dieser kleine Wirbelwind hier eben echt oder doch nur eine Illusion war. Beinahe gleichzeitig zuckt ihr dann die Schultern und wollt euch gerade wieder eurer Aufgabe widmen, als hinter euch ein Ruf ertönt.
„Ja, da sollen mich doch sämtliche Dämonen der Unterwelt holen, was macht IHR denn hier?“
Fragend dreht ihr euch um und eure Blicke fallen auf einen jungen Mann, an dessen Armen es sich je eine junge, gut gekleidete Dame bequem gemacht hat. Der braune Pferdeschwanz, die schlechte Rasur und das schelmische Funkeln in den Augen rufen euch jedoch sofort wieder Erinnerungen an eine Taverne in Rabenfurth, sowie die Ereignisse unter der dortigen Universität ins Gedächtnis.
„So sieht man sich also wieder, gut seht ihr aus“, lässt sich Valken Taveloran dann vernehmen, bevor er sich von seinen Begleiterinnen loseist und euch reihum die Hand reicht. Ihr konntet den unbeschwerten jungen Mann eigentlich ganz gut leiden und erwidert seine ehrliche Wiedersehensfreude daher in gleichem Maße. Valken klopft dann schließlich dem letzten von euch auf die Schulter und wendet sich wieder den beiden jungen Damen zu, mit einem Daumen auf euch deutend.
„Meine Lieben, diesen Herrschaften müsst ihr danken, dass ich heute eure bezaubernde Gesellschaft genießen darf. Sie haben mir in einer äußerst gefährlichen Situation beigestanden, die selbst ich wohl nicht allein hätte bewältigen können.“
Auf das Kichern der jungen Adelsfrauen vor euch folgt sofort ein wissendes, verschmitztes Zwinkern Valkens in eure Richtung, doch bevor ihr nur irgendwie darauf reagieren könnt, tritt der Haushofmeister des Barons zu euch und nimmt euch höflich, aber bestimmt zur Seite.
„Bitte entschuldigt, dass ich euer Gespräch mit dem jungen Herrn Taveloran unterbrechen muss, doch gibt es am Haupteingang ein … delikates Problem, welches ich den Wachen nicht überlassen kann. Direktor Aditzki hat ausdrücklich eure kompetente und vor allem diskrete Art im Umgang mit Schwierigkeiten hervor gehoben und ich würde euch daher bitten, diese Angelegenheit schnell und … ruhig zu beenden.“
Kurz wandern eure Augen von Valken, der euch nur verständnisvoll ansieht und sich dann sogleich wieder seinen Begleiterinnen widmet, zu dem Haushofmeister, doch da ihr schließlich für genau solche Situationen angeheuert wurdet, macht ihr euch sogleich zum Haupteingang auf.
Als ihr schließlich dort angekommen seid, dauert es nur einen kurzen Augenblick bis ihr begriffen habt, wo nun genau das Problem liegt, auch wenn ihr darüber nicht sonderlich erfreut seid. Die Wachen allerdings begrüßen eure Ankunft mit einem dankbaren Seufzen und ziehen sich zurück, womit ihr euch nun den Unruhestiftern in Form einer Handvoll junger Adeliger in Begleitung einiger übler Schläger stellen dürft.
„Heda, ihr“, spricht euch sogleich der Erste scharf an, „seid ihr nun endlich befugt uns rein zu lassen? Wir stehen nun schon lange genug in der Kälte und wir haben keine Lust mehr hier noch länger zu warten. Diese widerlichen Wachhunde da wollen uns den Zutritt verwehren, nur weil unsere Begleiterinnen bereits mit unseren Einladungen vorgegangen sind, ist das zu fassen? Macht also Platz und lasst uns rein, wenn ihr keinen Ärger haben wollt.“
Adel hin oder her, ihr habt eindeutige Anweisungen bezüglich der Sicherheitsvorkehrungen dieses Balls erhalten und dabei wurde euch auch mitgeteilt, dass niemand ohne gültige Einladung das Anwesen betreten darf. Da euch der Tonfall des jungen Gecken ohnehin nicht gefällt, ist es euch eine Freude mit steinerner Miene im Eingang stehen zu bleiben und ruhig, aber bestimmt zu verlautbaren, dass es für ihn und Seinesgleichen heute keinen Einlass gibt. Der junge Adelige sieht euch daraufhin fassungslos an und steht offensichtlich kurz vor einem Wutausbruch, als einer seiner Begleiter an ihn herantritt und ihm leise ins Ohr flüstert.
„Wie, was sagst du?“, könnt ihr seinen Teil der Unterhaltung mithören, „die Typen sollen den Kaiserbruder in Herzburg beschützt haben? Angeblich haben sie auch in der Schlacht am Kargasch Gipfel gekämpft? Und das letzte Turnier von Rabenfurth haben sie gewonnen? Na und? Was kümmert mich das! Wir stehen weit über ihnen, die haben uns gefälligst rein zu lassen.“
Knurrend wendet er sich dann wieder zu euch, nach diesen Erzählungen wohl umso entschlossener an euch vorbei in das Anwesen zu gelangen.
„Mir ist vollkommen gleich was ihr angeblich schon alles getan habt. ICH will da jetzt rein und IHR steht mir im Weg! Packt euch gefälligst, sonst werdet ihr gleich euer blaues Wunder erleben.“
Ihr habt es auf die höfliche Variante versucht, aber so wie es aussieht, scheint der junge Mann hier unbelehrbar zu sein. Seufzend legt ihr jegliche schwere Waffen beiseite und lasst kurz eure Fingerknöchel knacken, bevor der erste von euch dem jungen Adeligen in einer auffordernden Geste bedeutet, seine Worte in die Tat umzusetzen. Ihr werdet hier mit Sicherheit keinen Zwischenfall provozieren, doch wenn das kalte Wetter nicht ausreicht, um das Mütchen dieses Kerls zu kühlen, dann werdet ihr eben auf die gute alte Art dafür sorgen, dass der Junge lernt, wo sein Platz ist.