Sorgsam klopft ihr die Reste des Schnees von eurer Kleidung, als ihr wieder in den großen Salon tretet und euch umseht. Offensichtlich hat tatsächlich niemand die kleine Schlägerei vor dem Haus mitbekommen und zufrieden ob eurer guten Arbeit wollt ihr euch gerade einige frische Getränke holen, als aus dem Nichts wieder die junge Wahrsagerin auftaucht und sich sofort bei dem Nächstbesten einhakt.
„Seeeeeht ihr, Irina hat’s euch doch gesagt. Wenn ihr Irina gestattet hättet eure Zukunft vorher zu sagen, dann hättet ihr gewusst, dass diese üblen Schurken euch da draußen das Leben schwer machen. Irina weiß nämlich alles.“
Wo ist sie nur so plötzlich hergekommen? Verwirrt blickt ihr auf das glücklich strahlende Gesicht Irinas, die sich vergnügt anschmiegt und ein zufriedenes Lächeln zeigt.
„Was denn, was denn? Glaubt ihr Irina immer noch nicht? Gut, dann eine kleine Kostprobe: Gleich wird’s dort vorne mächtig Ärger geben.“
Misstrauisch seht ihr noch kurz zu ihr, bevor ihr eure Blicke dann aber in die Richtung schweifen lasst, die sie euch gewiesen hat und sofort beschleicht euch das Gefühl, dass die Wahrsagerin recht behalten könnte. In einiger Entfernung könnt ihr den geschundenen jungen Adeligen mitsamt einiger seiner Freunde ausmachen, die mit hochroten Gesichtern Valken anstarren, der in der kurzen Zeit scheinbar noch einige weitere junge Damen gefunden hat, mit denen er sich die vergnügen kann. Einen neuerlichen Wutausbruch fürchtend, schiebt ihr die protestierende Irina von euch und kommt gerade noch rechtzeitig, um den Rädelsführer der Adelsmeute wütend in Valkens Richtung knurren zu hören.
„Verschwinde jetzt, Taveloran. Wir haben endlich genug von dir, du glaubst wohl wirklich, dass du dir alles erlauben könntest, nur weil du Gold wie Heu hast. Du wirst niemals einer von uns sein, also lass unsere Frauen zufrieden und hau ab!“
Für einen kurzen Moment befürchtet ihr schon das Schlimmste, doch zu eurer Überraschung seufzt Valken nur leicht gelangweilt auf, verbeugt sich dann kurz vor jeder Dame in seiner Begleitung, die dies mit enttäuschten Gesichtern quittieren und macht sich dann mit einem vergnügten Schmunzeln auf den Lippen in eure Richtung auf. Erleichtert wollt ihr euch gerade entspannen, als sich der junge Adelige, der sich durch seinen Wutausbruch nun sichtlich vor allen Anwesenden blamiert hat, noch einmal zu Valken umdreht, ein hässliches Funkeln in den Augen.
„Ja, so ist’s recht, zieh nur den Schwanz ein und tu was man dir sagt. Da sieht man wieder, dass du nur eine große Klappe hast, aber nichts dahinter. Das ist auch der Grund, warum du dich letztendlich nur mit irgendwelchen Mischlingen abgeben kannst, nicht wahr? Was ist denn mit deiner „Partnerin“, diesem schwarzhäutigen Elfenflittchen, hm? Hast’ sie wohl in Rabenfurth eingesperrt, weil es dir peinlich ist mit ihr-“
Ein schmatzendes Geräusch ertönt und kurz darauf kracht der junge Adelige zu Boden, Blut und offensichtlich den einen oder anderen Zahn spuckend. Schlagartig ist es still im Saal geworden und alle Augen sind auf den jungen Mann gerichtet, der ungläubig in die Menge starrt, bevor er seinen Blick nach oben richtet. Mit ruhigem, aber eiskaltem Blick steht Valken über ihm, langsam die Finger seiner rechten Hand bewegend, die noch vor wenigen Augen mit voller Wucht den Kiefer des Adeligen getroffen haben. Dieser scheint den Schock langsam überwunden zu haben und lässt sich von seinen Freunden hochhelfen, Valken fast schon triumphierend ansehend.
„Jetzt hab’ ich dich, Taveloran, das war’s nun. Morgen Abend, Hauptplatz. Wenn du dich drückst, werd’ ich ein Kopfgeld auf dich aussetzen, das schwöre ich dir.“
Mit diesen Worten verlässt er samt Anhang den Ballsaal und kurz darauf widmen sich die Gäste auch bereits wieder ihren eigenen Angelegenheiten. Ihr habt dem Geschehen nur erstaunt zusehen können und wendet euch nun schließlich an Valken, der dem Adeligen noch kurz hinterher sieht und dann seufzend die Schultern hängen lässt, bevor er eine leichte Handbewegung macht, woraufhin beinahe aus dem Nichts ein Bediensteter auftaucht.
„Also schön, schreib’ Folgendes bitte mit und überbring’ das dann an Alfred, meinen Hausdiener. Was die Schutzbewaffnung angeht soll er das Übliche vorbereiten, für die Angriffswaffe hätte ich gern eine Pistole mit Schnellziehvorrichtung, am besten mit durchschlagenden Kugeln … oder ein paar Alchemistenkugeln, bei diesen Wetterverhältnissen wäre das doch ein netter Scherz. Was meint ihr dazu?“
Ein wenig misstrauisch blickt ihr auf den jungen Mann vor euch, der hier offensichtlich gerade Duellvorbereitungen gibt, dem Ganzen jedoch augenscheinlich nicht sonderlich viel Aufmerksamkeit widmet. Als Valken euren Blick bemerkt, seufzt er erneut und legt dann leicht den Kopf schief.
„Was denn? Meint ihr, ich sehe das zu lasch? Das ist in diesem Monat immerhin mein drittes Duell. Aber gut, ihr habt wahrscheinlich recht. Ich sollte wohl nach Hause gehen und mich ordentlich vorbereiten. Das wäre wohl ohnehin keine dumme Idee, wisst ihr, ich habe nämlich gerade ein hübsches kleines Anwesen hier im Norden der Altstadt erstanden und es wäre eine Schande, wenn ich dies nicht gleich ausnutzen würde. Dann wünsche ich euch noch einen schönen Abend und-“
Mitten im Satz verstummt Valken und starrt an euch vorbei in die Menge. Verwundert seht ihr ihn an und folgt dann seinem Blick, nur um daraufhin ebenfalls kurz zu stutzen. Die Menge hat sich an einer Stelle ein wenig gelichtet und umringt von applaudierenden Gästen ist ein Bär von einem Mann zu sehen. Mindestens zwei Schritt groß, mit eisgrauem Haar und dichtem Bart, gewandet in prächtigen Pelz und Samt, hat sich nun endlich der Gastgeber Roman Ilie Vladuliescu unter die Leute gemischt. Ein starkes, tiefes Lachen ertönt aus seiner Kehle, als er in einer fast schon prankenähnlichen Hand einen schweren Kristallkelch stemmt und einen Mann in seiner Nähe bei dem Versuch ihm aufmunternd auf die Schulter zu klopfen beinahe zu Boden schleudert. Das eigentliche Ziel der Aufmerksamkeit ist jedoch die Frau neben ihm. Rabenschwarze, lange Haare fassen ein blasses und doch hübsches Gesicht ein, aus dem tiefblaue Augen geradezu majestätisch über die versammelten Gäste schweifen. Eine fast schon königliche Eleganz geht von ihr aus und einen Moment ist euch, als würde euch leicht frösteln, als sich eure Blicke treffen. Einen Herzschlag lang scheint die Frau euch direkt anzusehen, bevor ihre Augen von euch gleiten und doch hat dieser Augenblick gereicht um in euch das sichere Gefühl zu erwecken, dass ihr ihr schon einmal begegnet seid. Während ihr noch fieberhaft versucht, euch an dieses Ereignis zu erinnern, räuspert sich Valken, rückt seinen Kragen zurecht und zeigt dann ein selbstsicheres Schmunzeln.
„Wisst ihr was? Mein Kammerdiener, Alfred, der kennt sich schon gut aus. Und mein Haus? Das kann ich mir morgen noch zur Genüge ansehen. Ihr entschuldigt mich nun, ich muss nun der reizenden Tochter meines Gastgebers die Aufwartung machen.“
Ohne auch nur für einen Moment die Augen von der Frau zu nehmen, die wohl laut seiner Aussage die Tochter das Barons ist, bahnt sich Valken dann seinen Weg durch die Menge, euch nur ein halbherziges Winken zum Abschied schenkend. Mit nachdenklicher Miene folgt ihr ihm mit euren Blicken und müsst schließlich ein wenig überrascht, jedoch anerkennend mitansehen, wie er nach einem kurzen, wenn auch sichtlich intensiven Gespräch der Frau mit den Eisaugen den Arm reicht, Diese ihn ergreift und sie gemeinsam den Salon durch eine Tür im hinteren Bereich des Saals verlassen.
Die Minuten verstreichen und ihr steht letztendlich immer noch am selben Fleck, die Augen auf die Tür gerichtet, durch die Valken und die Tochter des Barons verschwunden sind. Immer mehr nagt dieses ungute Gefühl an euch, dass eure letzte Begegnung mit dieser Frau unter keinem guten Stern stand und schließlich fasst ihr einen Entschluss. Wie beiläufig seht ihr euch um und macht euch dann jeder für sich scheinbar zufällig und auf unterschiedlichen Wegen in Richtung der Tür auf, nur um dann in einem unbeobachteten Moment alle gemeinsam hindurchzuschlüpfen. Ihr seid euch mittlerweile sicher, dass hier irgendetwas nicht stimmt und ihr müsst einfach herausfinden, was es ist. Noch einmal vergewissert ihr euch, dass euch niemand gefolgt ist und geht dann den Gang vor euch entlang.
Ihr wandert einige Zeit durch die hinteren Bereiche des Anwesens und rasch fühlt ihr euch in eurer Annahme bestätigt. Die Gänge und umliegenden Räume wirken leblos und unbenutzt und immer wieder findet ihr sogar Staubschichten am Boden und Spinnweben an den Wänden. Seit langem hat niemand mehr einen Fuß in diese Bereiche gesetzt und selbst wenn sich weder der Baron noch seine Tochter in diesem Teil des Hauses aufhielten, so würden doch zumindest Bedienstete hier ihrer Arbeit nachgehen. Eure sorgsam geschulten Gefahreninstinkte sind bis aufs Äußerste gereizt und als ihr dann schließlich aus einem nahen Raum einen erstickten Schrei vernehmt, handelt ihr ohne zu zögern. Ihr sprengt die Tür förmlich aus den Angeln, als ihr mit gezogenen Waffen hindurchstürmt und saugt augenblicklich scharf die Luft ein, als euch eisige Kälte entgegenströmt. Das gesamte Zimmer ist mit einer Schicht von Raureif bedeckt und in der Mitte des Raumes könnt ihr die leblosen Körper von zwei Wächtern entdecken, die von seltsamen Wesen umringt sind, deren Gestalt aus purem Eis zu bestehen scheint. Der Schrei, den ihr gerade noch vernommen habt, dürfte jedoch von einer Frau mittleren Alters stammen, die gerade von einem dieser seltsamen Wesen durch eine andere Tür aus dem Raum gezogen wird. Sofort schickt ihr euch an ihr zu folgen, doch bevor ihr auch nur in ihre Nähe gelangen könnt, stürzen sich die Eisgestalten auf euch.