Klarer Himmel, Sonnenschein und nur sanfter Wind, der das gute Wetter an diesem lauen Herbsttag nicht schmälert. Doch auch wenn Blitze neben euch in den Boden gefahren wären, der Sturm die Schindeln von den Dächern gerissen und sich Sturzbäche von Regenwasser über euch ergossen hätten, nichts hätte eure gute Laune trüben können. Seit ihr an diesem Morgen Valkens Brief erhalten habt, habt ihr das Gefühl, als würde das Grinsen von euren Gesichtern nie wieder verschwinden können und gut gelaunt schlendert ihr durch die Straßen Rabenfurths.
Wie oft habt ihr davon geträumt? Wie oft habt ihr euch diesen Moment vorgestellt? Endlich keine Aufträge mehr erledigen, nur um genug Gold zu erhaschen, so dass man am nächsten Tag noch etwas zu essen hat. Keine Gefallen mehr einfordern müssen, um die schartigen Waffen zu schleifen. Wenn ihr ehrlich zu euch selbst seid, könnt ihr es immer noch nicht so wirklich glauben. Es ist mehrere Wochen her, seit ihr aus den dunklen Landen zurückgekehrt seid, eure Wagen mit einer Menge seltsamer Artefakte beladen, die ihr aus den Schatzhäusern über der Ritualkammer geborgen habt. Mit dabei waren aber auch eine junge Halbelfe und ein junger, schwerst verletzter Mann, der zu eurer großen Erleichterung bis zum Ende durchgehalten hat. Valken hätte seinen Widerstand gegen die unheimliche Gestalt in der Robe beinahe mit dem Leben bezahlt und ihr könnt euch nicht sicher sein, ob er sich überhaupt jemals von all seinen Verletzungen erholen wird. Die ganze Reise über hat sich Alyssa aufopfernd um ihn gekümmert und ist ihm nie von der Seite gewichen. Ihr hattet kaum Zeit sie zu den Geschehnissen in der Ritualkammer zu befragen und nachdem ihr in Rabenfurth angekommen wart, habt ihr sie nur mehr dabei unterstützt, Valken so schnell als möglich zu den besten Heilern der Universität zu bringen. Immer wieder habt ihr die nächsten Tage noch versucht, den jungen Mann zu besuchen, doch haben die Medici niemanden zu ihm durchgelassen und schließlich wurde euch nur mehr mitgeteilt, dass er nach Tiefenfels gebracht worden wäre, um sich dort weiterführenden Behandlungen zu unterziehen. Ihr habt aus diesen Worten geschlossen, dass er das Schlimmste wohl tatsächlich überstanden hatte, was euch allen einen Stein von den Herzen nahm. Da Alyssa ebenfalls in die Hauptstadt des Kaiserreichs aufgebrochen war, habt ihr euch wieder euren Geschäften zugewandt und so habt ihr nichts mehr von den Beiden gehört, bis euch an diesem Morgen besagter Brief zugestellt wurde.
Ihr habt den Inhalt mehrere Male gelesen, teils um euch zu vergewissern, dass er echt ist, teils um zu begreifen, was dies nun wirklich für euch bedeutet. Valkens Genesung war in Tiefenfels überraschend gut voran geschritten und so hatte er sich dann wieder um seine Geschäfte gekümmert. Da der junge Mann wohl über eine beachtliche Menge an Kontakten in den unterschiedlichsten Kreisen verfügt, war es ihm gelungen die meisten der mitgebrachten Artefakte und Relikte zu einem beträchtlichen Preis zu veräußern, ganz zu schweigen von den Gebühren, die ihm Forschungseinrichtungen freudig bezahlten, damit er ihnen den einen oder anderen Gegenstand für ihre Studien überließ. Valkens ohnehin schon beträchtliches Vermögen war dadurch ein weiteres Mal angewachsen und so war es nun an der Zeit, euch die versprochenen Beteiligungen auszuzahlen. Wie ihr allerdings bemerken musstet, hatte sich der junge Mann nicht an die vereinbarten Summen gehalten, sondern euch ein Vielfaches mehr davon in den verschiedensten Wertanlagen zukommen lassen. Er hat dies mit seiner Dankbarkeit für all eure Dienste und eure Freundschaft begründet und den Wunsch geäußert, in der Zukunft bei einem Gläschen zusammen zu sitzen und über die „gute alte Zeit“ zu plaudern.
So kommt es also, dass ihr gemütlich durch Rabenfurths Straßen spaziert und im Scherz Streitgespräche darüber führt, wo ihr euch denn nun das erste Anwesen leisten wollt, ob ihr das Gold lieber so aufteilen wollt, dass sich jeder von euch sein eigenes Haus leisten kann, oder ob es ohnehin nicht besser wäre zu versuchen eine Villa in Tiefenfels zu erstehen. Ja, es ist ein wahrhaftig prächtiger Tag und so wie die Sonne über euch lacht, gibt es nichts, aber auch gar nichts was euch heute die Laune-
„Halt, stehengeblieben! Fangt sie! Packt sie! Schnappt euch die HEXE!“
Verwirrt ob des lauten Rufens seht ihr euch um und einen kurzen Augenblick später werden zwei von euch beinahe umgerannt, als aus einer Seitengasse ein blau-violetter Wirbelwind geschossen kommt, der sich rasch als junge Frau entpuppt. Große, strahlend blaue Augen, die euch unweigerlich vertraut vorkommen, blicken sich hastig um und die Überraschung in dem hübschen, gebräunten Gesicht weicht rasch einer Entschlossenheit, die euch instinktiv einen Schauer über den Rücken laufen lässt. Noch bevor ihr jedoch irgendetwas sagen könnt treten mehrere Gestalten in eure Straße, an ihrer Spitze ein großgewachsener, hagerer Mann mit funkelnden Augen, die sich unter einem breitkrempigen Haut kurz gehetzt umsehen, bevor sie aufblitzen als sie euch und das Mädchen erblicken.
„HA! Haben wir dich endlich, Hexe! Deine letzte Stunde hat geschlagen! Habt vielen Dank, werte Herrschaften, dass ihr dieses Teufelsweib für uns gefangen habt.“
Ihr wollt gerade zu einer Bemerkung ansetzen, als sich die junge Frau hinter eurem größten Mitstreiter versteckt, dem Hageren die Zunge zeigt und abwehrend mit einem Finger zu wedeln beginnt.
„Nein, nein, nein, sicher nicht, das werden sie niemals! Sie sind Irinas Freunde und der hier, der hier ist Irinas großer Bruder, jawohl! Niemals werden sie zulassen, dass ihr fiesen Kerle Irina ein Haar krümmt.“
Einen Moment lang herrscht nur Stille, bevor der Mann mit dem Hut hasserfüllt die Zähne fletscht und in eure Richtung zeigt.
„Männer! Noch mehr Heiden und Gottlose! Vernichtet sie alle, lasst keinen am Leben!“
Zustimmende Rufe werden von seinen Gefolgsleuten laut und ihr habt es nur euren Reflexen zu verdanken, dass sich eure Waffen in euren Händen befinden, als die Meute auf euch zustürmt und nur wenige Augenblicke später zum Angriff übergeht.
Schmerzerfüllt keuchend stützt sich der hagere Mann an einer Seitenwand ab und wirft euch brennende Blicke zu, langsam eine Hand hebend und mit einem bebenden Finger auf euch zeigend.
„Ihr … das … werdet ihr noch büßen … das schwöre ich … ich … komme wieder …“
Humpelnd macht er sich nach diesen Worten davon und alle seine Männer, die dazu ebenfalls noch in der Lage sind, tun es ihm gleich. In gewissem Sinne versucht ihr immer noch zu begreifen, was da nun eben geschehen ist und steckt langsam eure Waffen weg, bevor ihr sicher geht, dass keinem von euch etwas widerfahren ist.
„Tststs … was für widerliche Kerle. Die haben Irina schon eine ganze Weile verfolgt. Wollten nicht locker lassen. Ärgerlich, ärgerlich.“
Seufzend schüttelt die junge Frau den Kopf, ihre langen, dunklen Haare im leichten Wind wehend. Erneut tritt diese unheimliche Stille ein, als ihr euch ihr langsam im Gleichklang zuwendet und zwölf Augenpaare wie gebannt auf das Mädchen starren, welches unbeeindruckt noch einmal die Haare ausschüttelt, bevor sie die Hände hinter dem Rücken verschränkt, ein bezauberndes Lächeln aufsetzt, sich kurz im Kreis dreht und euch dann mit leicht zur Seite geneigtem Kopf zurücksüß ansieht.
„Hallo, hallo, danke für die Hilfe. Na, wie geht’s euch denn so? Ist alles in Ordnung? Habt ihr Irina vermisst?“