Wer immer über die Oase herrscht ist kein Freund von Stadtmauern. Stattdessen säumen hochgewachsene Palmen die Oase, die größer ist, als ihr sie euch vorgestellt habt. Eine kleine Stadt, mitten in der Wüste.
Reflexartig seht ihr euch um: karge Dünen, Leere, Sand soweit das Auge reicht.
Auf der anderen Seite, vor euch: ein Quell des Lebens, fast schon schmerzhaft grün, mit bunt gekleideten Einwohnern, die auf den staubigen Straßen umherwuseln.
Lanasthur wartet geduldig, bis ihr eure Augen von der Oase lösen könnt: "So sah ich auch aus, als ich das erste Mal vor Zab'yennah stand. Genau so, mit offenem Mund und Staunen im Blick. Ihr werdet euch noch mehr als einmal wundern, das verspreche ich euch. Aber lasst uns hineinreiten. Ich möchte die Zeit nutzen. Wir müssen Zimmer in einer Herberge mieten, den Markt besuchen, Handelskontakte knüpfen, beim Orakel und beim Sultan vorsprechen ... Und wenn dann noch etwas Zeit ist, vielleicht auch noch das Badehaus besuchen."
Mit einem Zwinkern wendet er sein Kamel und reitet zu Yalneezah, um ihn für die Begleitung auszuzahlen. Ihr nehmt an, dass der Diplomat für eure Rückreise eine andere Karawane aussuchen wird, aber das soll nicht eure Sorge sein.
Lanasthur winkt euch heran: "Zuerst zum Markt."
"Setzt es auf die Liste", keucht Lanasthur und reicht euch einen weiteren Gewürzsack. "Der Herzog wird begeistert sein!"
Der braungebrannte Händler ist es jedenfalls. Seit mehreren Minuten blitzen seine Zähne unentwegt, weil sein durch euer Gold gefördertes Grinsen nicht mehr aus seinem Gesicht verschwinden will. Eine kleine Menschentraube hat sich um euch gebildet, die euch mit Fragen bestürmt. Zu eurer Überraschung findet ihr auch einige Grenzländer, die wissen wollen, wie es in ihrer Heimat läuft. Ihr beantwortet die dringendsten Fragen und vertröstet den Rest auf später, um euch zum nächsten Stand begeben zu können.
Eine schwarz verschleierte Frau nähert sich euch, die euch durch ihren kostbar klimpernden Goldschmuck besonders ins Auge sticht. Langsam, sich jedes Schrittes und eurer Blicke bewusst, schlendert sie zu eben jenem Stand, den ihr anvisiert hattet, und nimmt sich eine frische Dattel aus der Auslage. Sie wirft euch ein kurzes Lächeln zu, halb verhüllt durch das dunkle Tuch vor ihrem Gesicht.
Gerade wollt ihr ihr Lächeln erwidern, vielleicht sogar auf sie zugehen, da erklingt eine nahe, tiefe Stimme vom Stand: "Gefällt euch, was ihr seht, Grünländer?"
"Sehr", murmelt einer von euch versonnen, ehe ihr auch nur auf die Idee kommt, der Mann könne seine Auslagen gemeint haben. Die Verschleierte dreht sich indessen weg und entfernt sich wieder. Ihr wollt der schlanken Frauengestalt nachsehen, doch der Händler, den ihr vorher gar nicht wahrgenommen habt, versucht abermals, eure Aufmerksamkeit zu erlangen: "Ihr seid zu Besuch hier, ja? Wichtige Reise? Zum Orakel, ja?"
Das genügt - wenigstens für den Augenblick ist die schöne Fremde vergessen und euer Argwohn geweckt. "Und wenn dem so wäre?"
Euer Gegenüber versucht sich an einem entwaffnenden Lächeln. "Aah, ich wusste es sofort, als ich euch sah", verkündet er in erstaunlich akzentarmem Grenzländisch. "Warum sonst sollten Leute wie ihr den beschwerlichen Weg auf sich nehmen? Abenteuerlustig, kampferfahren, wohlhabend ..." Er zwinkert euch zu. "... und wissbegierig, ja?"
"Das mag sein, wie es will, aber was wollt Ihr von uns?"
"Die Frage, werte Freunde, sollte lauten: Was kann ich euch bieten?", gibt er zurück und streicht lächelnd durch seinen schwarzen Bart. "Die Antwort ist einfach: Die einmalige Gelegenheit, euren Visionen beim Orakel völlige Klarheit zu verschaffen! Das ist doch gut, ja?"
Nun wird auch Lanasthur hellhörig, der bisher nur amüsiert, aber etwas gelangweilt darauf gewartet hat, dass ihr euch endlich losreißt. Skeptisch runzelt er die Stirn. "Ach? Wie soll das möglich sein?"
Der Händler lächelt ungerührt. "Orakel sind vage und rätselhaft, ja? Nicht immer. Man kann, wie sagt man, seinem Glück auf die Sprünge helfen. Ich bin im Besitz einer ... Substanz, die genau das bewirkt. Eine Glückssubstanz, wenn ihr so wollt. Seid ihr interessiert?"
Natürlich seid ihr interessiert. Aber auch misstrauisch. "Und was soll uns dieses ... Glück kosten?"
Er winkt ab, als sei der Preis völlig nebensächlich. "500 Goldstücke. Ein Schnäppchen für solche Magie."
Lanasthur schüttelt nur den Kopf. "Der Mann will uns über den Tisch ziehen. Gehen wir."
"Wartet! 300. Ich brauche das Ding sowieso nicht mehr." Schnell bückt er sich hinter der Auslage seines Standes und kommt mit einem schwarzen, vasenähnlichen Gegenstand - einer Urne? - in den Händen wieder hervor.
"200, und Ihr lasst uns von Euren Datteln kosten", entgegnet Lanasthur.
"Abgemacht!" Der bärtige Händler hat es beinahe eilig, sich von seiner Ware zu trennen. Als er sein Geld erhalten hat und euch die Urne überreicht - und es scheint tatsächlich eine Urne zu sein -, erklärt er euch in knappen Worten, was ihr zu tun habt; dann ist das Geschäft abgeschlossen. Euer Begleiter überlässt euch euren Einkauf mit einem Schulterzucken, dann schlendert er mit einer Dattel im Mund weiter zum nächsten Stand.
"Wer war eigentlich diese Frau vorhin?", wollt ihr wissen, als ihr ihm folgt.
"Eine Kurtisane des Sultans, nehme ich an", erklärt Lanasthur. "Offensichtlich genießen sie einen hohen Status in der Oase. Ich bin nicht sicher, warum, aber ich kann es mir denken ..."
Aber eure Arbeit lässt euch nicht die Zeit, um weiter gedanklich der Frau oder eurem merkwürdigen Kauf nachzuhängen. Zu viel ist zu tun. Weiter zieht ihr, von Stand zu Stand, um Preise zu notieren und Waren auf eure Kamele zu laden.